Historische Entwicklung von ADHS
Die Symptome von ADHS sind keineswegs ein Phänomen der modernen Zeit. Bereits 1798 beschrieb der schottische Arzt Sir Alexander Crichton in seinem Werk An Inquiry into the Nature and Origin of Mental Derangement Kinder, die unter Aufmerksamkeitsschwierigkeiten litten (Crichton, 1798). Er charakterisierte eine "mentale Ruhelosigkeit", die es den Betroffenen erschwerte, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren.
Im frühen 20. Jahrhundert wurde das Bild konkreter: Der britische Pädiater George Frederic Still hielt 1902 Vorträge, in denen er Kinder mit "abnormaler moralischer Kontrolle" beschrieb, die heute als frühe Beschreibungen von ADHS gelten (Still, 1902). Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten sich die diagnostischen Kriterien weiter, und ADHS wurde als neurobiologische Störung anerkannt (American Psychiatric Association [APA], 2013).
Diagnostische Kriterien der ADHS nach DSM-5
Das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association bietet einen strukturierten Rahmen für die Diagnose von ADHS (APA, 2013). Die Klinische Praxis wetweit bedient sich dem ICD 10 und bald dem neuen ICD 11, jedoch ist das DSM Forschungsnäher und gibt einen aktuelleren und detaillierten Einblick in die Störungen und ist besonders für westliche Kulturen geeignet. Die ADHS ist durch ein überdauerndes Muster von Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität-Impulsivität gekennzeichnet, das die Funktionsfähigkeit oder Entwicklung beeinträchtigt.
Unaufmerksamkeit: Mindestens sechs der folgenden Symptome (bei Personen bis 16 Jahre) oder fünf Symptome (bei Personen ab 17 Jahre) müssen seit mindestens sechs Monaten in einem Ausmaß vorliegen, das nicht dem Entwicklungsstand entspricht:
- Häufige Unaufmerksamkeit gegenüber Details oder Sorgfaltsfehler.
- Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielen aufrechtzuerhalten.
- Scheint oft nicht zuzuhören, wenn direkt angesprochen.
- Befolgt Anweisungen nicht vollständig und beendet Aufgaben nicht.
- Schwierigkeiten bei der Organisation von Aufgaben und Aktivitäten.
- Vermeidet oder ist widerwillig, Aufgaben zu übernehmen, die anhaltende mentale Anstrengung erfordern.
- Verliert häufig Dinge, die für Aufgaben oder Aktivitäten notwendig sind.
- Leicht durch äußere Reize ablenkbar.
- Vergesslichkeit bei täglichen Aktivitäten.
Hyperaktivität und Impulsivität: Ebenfalls mindestens sechs der folgenden Symptome (bei Personen bis 16 Jahre) oder fünf Symptome (bei Personen ab 17 Jahre) müssen seit mindestens sechs Monaten bestehen:
- Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum.
- Steht in Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird.
- Läuft herum oder klettert in unpassenden Situationen.
- Hat Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder Freizeitaktivitäten nachzugehen.
- Ist "auf Achse" oder handelt, als wäre er/sie "getrieben".
- Redet übermäßig viel.
- Platzt mit Antworten heraus, bevor die Frage vollständig gestellt ist.
- Hat Schwierigkeiten, auf die eigene Reihe zu warten.
- Unterbricht oder stört häufig andere.
Zusätzlich müssen einige Symptome vor dem 12. Lebensjahr auftreten, in zwei oder mehr Lebensbereichen bestehen (z. B. Schule, Arbeit, Zuhause).
Die DSM-5 unterscheidet drei Ausprägungen:
- Vorwiegend unaufmerksamer Typ
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ
- Gemischter Typ
Diese Kriterien helfen Fachkräften, eine fundierte Diagnose zu stellen und angemessene Behandlungspläne zu entwickeln.
Neben diese klaren diagnostischen Kriterien gibt es natürlich in der Umgangssprache, bzw. im allg. Gesellschaftlichen raum unterschiedliche Vorstellungen um die ADHS und wie sich diese im Alltag zeigt.
Die 5 größten Mythen über ADHS und die Fakten dahinter
- Mythos: ADHS ist keine echte Krankheit.
Fakt: ADHS ist eine anerkannte psychische Störung mit neurobiologischen Ursachen. Zahlreiche Studien haben Unterschiede in der Gehirnstruktur und -funktion von Betroffenen nachgewiesen (Shaw et al., 2007). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die American Psychiatric Association (APA) führen ADHS in ihren diagnostischen Manuals auf (APA, 2013; WHO, 2019).
- Mythos: Nur Kinder sind von ADHS betroffen.
Fakt: Obwohl ADHS häufig in der Kindheit diagnostiziert wird, persistieren die Symptome bei vielen Betroffenen ins Erwachsenenalter. Schätzungen zufolge leiden etwa 2,5 % der Erwachsenen weltweit an ADHS (Simon et al., 2009). Erwachsene zeigen oft weniger hyperaktive Symptome, kämpfen jedoch weiterhin mit Unaufmerksamkeit und Impulsivität.
- Mythos: ADHS entsteht durch schlechte Erziehung.
Fakt: ADHS hat eine starke genetische Komponente. Studien zeigen eine Erblichkeit von etwa 70–80 % (Faraone & Mick, 2010). Umweltfaktoren können die Symptome beeinflussen, sind aber nicht die Ursache. Eine liebevolle und strukturierte Erziehung kann helfen, mit den Symptomen umzugehen, verhindert jedoch nicht das Auftreten der Störung.
- Mythos: ADHS wird überdiagnostiziert.
Fakt: Obwohl es regionale Unterschiede gibt, deuten viele Studien darauf hin, dass ADHS eher unter- als überdiagnostiziert wird, insbesondere bei Mädchen und Erwachsenen (Kessler et al., 2006). Stereotype Vorstellungen können dazu führen, dass Symptome übersehen oder falsch interpretiert werden.
- Mythos: Medikamente sind die einzige Behandlungsmöglichkeit.
Fakt: Die Behandlung von ADHS ist multimodal. Neben medikamentöser Therapie sind Verhaltenstherapie, Psychoedukation und Coaching effektive Ansätze (National Institute for Health and Care Excellence [NICE], 2018). Individuelle Behandlungspläne berücksichtigen die spezifischen Bedürfnisse und Umstände des Betroffenen.
Neben diesen Mythen über die Darrstellung von ADHS Im Alltag wollen wir nun auf die tatsächlichen Anzeichen und Auffälligkeiten von Betroffenen im Alltag eingehen, um den Vorhang zu heben und Licht ins dunkeln zu bringen.
Ausprägungen von ADHS in der Praxis
ADHS ist nicht bei allen Betroffenen gleich ausgeprägt. Das DSM-5 unterscheidet drei Subtypen:
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ (ca. 15 % der Fälle): Gekennzeichnet durch motorische Unruhe und impulsives Verhalten (APA, 2013). Betroffene haben Schwierigkeiten, stillzusitzen, und handeln oft ohne nachzudenken.
- Vorwiegend unaufmerksamer Typ (ca. 20 %): Hauptmerkmal ist die mangelnde Aufmerksamkeit. Betroffene wirken oft verträumt, vergessen Details und haben Schwierigkeiten, Anweisungen zu folgen.
- Gemischter Typ (ca. 65 %): Eine Kombination aus Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität.
Kernsymptome und häufig bekannte Probleme
- Unaufmerksamkeit:
- Schwierigkeiten, sich auf Details zu konzentrieren.
- Leicht ablenkbar durch äußere Reize.
- Vergesslichkeit im Alltag, z. B. Verlegen von Gegenständen.
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- Hyperaktivität:
- Unruhe, z. B. Zappeln oder ständiges Wippen mit dem Fuß.
- Gefühl der inneren Getriebenheit.
- Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder Freizeitaktivitäten nachzugehen.
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- Impulsivität:
- Handeln, ohne die Konsequenzen zu bedenken.
- Unterbrechen oder Stören anderer.
- Schwierigkeiten, die eigene Impulskontrolle zu wahren.
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Diese Symptome können zu Problemen in Schule, Beruf und sozialen Beziehungen führen. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihre Aufgaben zu organisieren, Termine einzuhalten oder zwischenmenschliche Konflikte zu vermeiden.
Stärken und Schwächen von Betroffenen im Alltag
- Stärken:
- Kreativität: Viele Betroffene denken unkonventionell und finden kreative Lösungen (White & Shah, 2006). Sie können "outside the box" denken und innovative Ideen entwickeln.
- Energie: Besonders beim hyperaktiven Typ ist eine hohe Tatkraft und Enthusiasmus vorhanden, die in Projekten oder Aktivitäten kanalisiert werden kann.
- Anpassungsfähigkeit: Die Fähigkeit, flexibel auf neue Situationen zu reagieren, kann im schnelllebigen Alltag von Vorteil sein.
- Schwächen:
- Ablenkbarkeit: Leichte Ablenkbarkeit kann es schwierig machen, Aufgaben zu Ende zu bringen.
- Desorganisation: Schwierigkeiten mit Zeitmanagement und Ordnung können zu Stress und verpassten Fristen führen.
- Impulsivität: Unüberlegte Entscheidungen können finanzielle oder soziale Probleme verursachen.
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Nun stellt sich natürlich auch die Frage, wie kann man am besten mit diesen Problemen umgehen. Dabei stellt sich diese Thematik nicht nur Personen die Direkt von Störung betroffen sind, sondern auch Personen, die Betroffene in ihrem, nahen, Umfeld haben oder kennen. Im Folgenden möchten wir euch deshalb jeweils 5 praktische Tipps mit an die Hand geben.
Praktische Tipps zum Umgang mit ADHS
- Für Betroffene:
- - Strukturierte Tagesabläufe etablieren: Ein fester Zeitplan hilft, den Tag zu organisieren und Prioritäten zu setzen.
- - Ablenkungen minimieren: Eine ruhige Arbeitsumgebung ohne störende Geräusche oder visuelle Reize fördert die Konzentration.
- - Aufgaben in kleine Schritte unterteilen: Große Aufgaben werden überschaubarer und weniger überwältigend.
- - Regelmäßige körperliche Aktivität einbauen: Sport kann überschüssige Energie abbauen und die Konzentration verbessern (Mitchell et al., 2012).
- - Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Therapien und Beratungen können Strategien vermitteln, um mit den Symptomen umzugehen.
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- Für Angehörige:
- - Geduld und Verständnis zeigen: Verständnis für die Herausforderungen des Betroffenen kann Spannungen reduzieren.
- - Klare und einfache Kommunikation: Direkte Anweisungen und Rückmeldungen helfen, Missverständnisse zu vermeiden.
- - Unterstützung bei organisatorischen Aufgaben bieten: Hilfestellung bei Planung und Organisation kann den Alltag erleichtern.
- - Positive Verstärkung und Anerkennung geben: Lob für Erfolge motiviert und stärkt das Selbstwertgefühl.
- - Sich selbst über ADHS informieren: Wissen über die Störung fördert das Verständnis und die Fähigkeit, angemessen zu unterstützen.
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Fazit
ADHS ist mehr als nur eine Modediagnose. Es handelt sich um eine komplexe neurobiologische Störung, die bereits seit Jahrhunderten beschrieben wird. Mit dem richtigen Verständnis, Unterstützung und geeigneten Strategien können Betroffene die Herausforderungen meistern und ihre Stärken effektiv einsetzen.
Literaturverzeichnis
- - American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (5. Aufl.). Washington, DC: Autor.
- - Crichton, A. (1798). An Inquiry into the Nature and Origin of Mental Derangement. London, UK: T. Cadell, Jr. und W. Davies.
- - Faraone, S. V., & Mick, E. (2010). Molecular genetics of attention deficit hyperactivity disorder: A synthesis. Current Psychiatry Reports, 12(5), 398–405. https://doi.org/10.1007/s11920-010-0141-3
- - Kessler, R. C., et al. (2006). The prevalence and correlates of adult ADHD in the United States: Results from the National Comorbidity Survey Replication. American Journal of Psychiatry, 163(4), 716–723. https://doi.org/10.1176/ajp.2006.163.4.716
- - Mitchell, J. T., et al. (2012). Behavioral and neural correlates of response inhibition in adults with childhood ADHD: Relations with symptom persistence and stimulant treatment. Journal of Abnormal Psychology, 121(2), 520–533. https://doi.org/10.1037/a0027121
- - National Institute for Health and Care Excellence. (2018). Attention deficit hyperactivity disorder: Diagnosis and management (NICE Guideline No. 87). London, UK: Autor.
- - Shaw, P., et al. (2007). Attention-deficit/hyperactivity disorder is characterized by a delay in cortical maturation. Proceedings of the National Academy of Sciences, 104(49), 19649–19654. https://doi.org/10.1073/pnas.0707741104
- - Simon, V., Czobor, P., Bálint, S., Mészáros, Á., & Bitter, I. (2009). Prevalence and correlates of adult attention-deficit hyperactivity disorder: Meta-analysis. The British Journal of Psychiatry, 194(3), 204–211. https://doi.org/10.1192/bjp.bp.107.048827
- - Still, G. F. (1902). Some abnormal psychical conditions in children. The Lancet, 159(4102), 1008–1012.
- - White, H. A., & Shah, P. (2006). Uninhibited imaginations: Creativity in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder. Personality and Individual Differences, 40(6), 1121–1131. https://doi.org/10.1016/j.paid.2005.11.007
- - World Health Organization. (2019). International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (11. Revision). Genf, Schweiz: Autor.