Unterversorgung in der Psychotherapie: Was führt zu den langen Wartezeiten und wie gelange ich trotzdem an einen Therapieplatz?

Der Bedarf nach Psychotherapie ist immens hoch und immer wieder hört man Sätze wie „Wir brauchen mehr Therapierende“. Gleichzeitig gibt es einen starken Ansturm auf das Psychologiestudium, was zu hohen Zulassungsvoraussetzungen an den staatlichen Universitäten und vielen privaten Studienmöglichkeiten führt. Wie kann es so viele Menschen mit Berufswunsch Psychotherapeut*in und sogar vollendetem Studium, aber zeitgleich so lange Wartelisten in den Praxen geben? Dieses Paradoxon kann durch drei Hauptgründe erklärt werden: Der Weg ins Studium, der Weg während des Studiums und der Weg zur Praxis.

Der Weg zur Psychotherapie beginnt mit Hürden im Studium

Um diese Frage zu beantworten, macht es Sinn, sich zunächst den Weg der Ausbildung genauer anzuschauen. Im September 2020 wurde das Psychotherapeutengesetz reformiert, welches unter anderem regelt, welche Voraussetzungen für die Berufsausübung erfüllt sein müssen. Nach der neuen Studienordnung muss nach einem Bachelorstudium der Psychologie ein Master in Klinischer Psychologie und Psychotherapie abgelegt werden. Da sich jedes Jahr deutlich mehr Personen auf den Bachelor in Psychologie bewerben, als Plätze angeboten werden, liegt der Numerus Clausus (NC) inzwischen in den meisten Städten zwischen 1,0 und 1,7. Der NC bezeichnet die letzte Abiturdurchschnittsnote, mit der man in einem bestimmten Jahr noch einen Studienplatz erhalten konnte. Es würde also weitaus mehr Menschen geben, die Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen werden möchten, jedoch werden weniger Plätze angeboten, als nachgefragt werden. Dieses Phänomen haben auch verschiedene private Universitäten beobachtet und bieten den Studiengang vermehrt an, allerdings zu deutlich höheren Preisen als die staatlichen Universitäten. Zusätzlich gibt es in Deutschland ein deutliches Ungleichgewicht zwischen der Anzahl der Bachelor- und Masterplätze im Fach Psychologie. Rund 15% der Bachelorabsolvent*innen finden nach dem Bachelorabschluss keinen Masterplatz, der jedoch notwendig ist, um Psychotherapeut*in zu werden. Das bedeutet, dass jährlich viele Studierende gezwungen sind, sich mehrfach zu bewerben oder ins Ausland zu wechseln, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können. Ein Teil der Problematik rührt also daher, dass die Zulassung zum Studium und auch das erfolgreiche Absolvieren durch strukturelle Hürden deutlich erschwert wird.

Von der Theorie zur Praxis: Strukturelle und finanzielle Hürden in der Weiterbildung

Wenn der Master in klinischer Psychologie und Psychotherapie geschafft ist, muss noch eine Approbationsprüfung abgelegt werden, die als Genehmigung zur Berufsausübung gilt und dazu berechtigt, die Berufsbezeichnung Psychotherapeut*in zu tragen. Um aber Psychotherapie mit gesetzlich versicherten Patient*innen durchführen zu können und vertiefende therapeutische Techniken wie Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologische Psychotherapie zu erlernen, muss zudem noch eine fünfjährige Weiterbildung nach dem Master und damit dem eigentlichen Studium abgeschlossen werden. Während Masterabsolvent*innen vor der Reform des Psychotherapeutengesetzes während der damals noch dreijährigen Ausbildung oft kaum, bis gar nicht bezahlt wurden, was für viele ein finanzielles Problem darstellte, sollen Psychotherapeut*innen in Weiterbildung nun besser vergütet werden.

Obwohl die ersten Jahrgänge den neuen reformierten Master und die Approbation bereits abschließen, ist aktuell noch völlig unklar, wie es für sie weitergeht. Denn die bessere Vergütung der Absolvent*innen ist nicht ausreichend gesichert, da die Finanzierung der Weiterbildungsstellen bis heute nicht geklärt ist. Es sind dringend gesetzliche Regelungen erforderlich, die bisher durch die Bundesregierung nicht getroffen, und immer weiter hinausgezögert werden, obwohl zum Beispiel durch Demonstrationen immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht wurde. Die Gesetzeslücke der Finanzierung führt dazu, dass weniger potenzielle Weiterbildungsstellen Plätze anbieten, da diese selbst nicht die finanziellen Mittel zur Bezahlung von mehr Psychotherapeut*innen in Weiterbildung haben. So könnte sich die therapeutische Versorgungsituation in Zukunft sogar noch weiter verschärfen.

Veraltete Bedarfsplanung: Warum zu wenige Kassensitze das Hauptproblem für die Unterversorgung sind

Bei Studierenden, die am Anfang dieses langen Ausbildungsprozesses stehen, löst diese Problematik Unsicherheit aus, denn auch, wenn die Weiterbildung geschafft ist, ist der Weg zur eigenen Praxis eine weitere Hürde. Denn wer nicht ausschließlich Privatpatient*innen behandeln möchte, sondern über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen will, braucht eine Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigungen („Kassensitz“). Davon gibt es nur eine begrenzte Anzahl, und sie müssen käuflich erworben werden, wobei die Preise mitunter enorm sind. Nach dem langwierigen, finanziell herausfordernden Ausbildungsprozess ist das für viele ein echtes Problem. Abgesehen von der finanziellen Problematik der Kassensitze liegt in ihrer begrenzten Anzahl einer der Hauptpunkte, weshalb es so schwierig sein kann, psychotherapeutische Versorgung zu erhalten, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Welche Region wie viele Psychotherapeut*innen benötigt, wurde vor ca. 25 Jahren für ganz Deutschland festgelegt und zwar anhand der Bevölkerungszahlen angepasst, jedoch gehen die Bedarfsplanung und die Realität des Therapiealltags weit auseinander. Das führt zu der paradoxen Situation, dass eine große Zahl an ausgebildeten Psychotherapeut*innen um eine begrenzte Anzahl von Kassensitzen konkurriert, während viele Menschen mit psychischen Problemen lange auf die wenigen verfügbaren Therapieplätze warten müssen. 

Welche Möglichkeit gibt es, trotzdem einen Psychotherapieplatz zu bekommen? 

Eine gute Möglichkeit, die Kassensitzproblematik zu umgehen, wird beispielsweise hier in der Praxis Lübberding angewandt. Denn Patient*innen, die keinen Therapieplatz bei niedergelassenen Behandler*innen mit Kassensitz gefunden haben, müssen von den Krankenkassen eine gleichwertige Behandlung finanziert bekommen. Oft werden so die Kosten der Therapie im sogenannten Kostenerstattungsverfahren (§13.3, SGB V) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ohne erfahrende Ansprechpersonen, wie sie hier in der Praxis vorhanden sind, ist die Thematik allerdings ein bürokratischer Aufwand, der überfordernd wirken kann. Trotzdem konnten schon viele Therapien auf diese Weise finanziert und Wartezeiten verkürzt werden. 

Obwohl das Kostenerstattungsverfahren die Symptome der Unterversorgung an manchen Stellen ausreichend abfedern kann, bleiben gesetzliche Regelungen zur Finanzierung der Weiterbildung und die Schaffung von Kassensitzen das Grundproblem, für das es dringend eine Lösung braucht. 

 


Quellen

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). (n.d.). Wir haben Platzangst: Zu wenig Masterplätze in der Psychologie. Abgerufen am [Datum], von https://www.bdp-verband.de/aktuelles/detailansicht/pm-wir-haben-platzangst-zu-wenig-masterplaetze-in-der-psychologie

Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung. (2024, 12. April). Kundgebung – Psychotherapeutinnen fordern bessere Arbeitsbedingungen*. Abgerufen am 27.11.2024, von https://www.dptv.de/fileadmin/Redaktion/Bilder_und_Dokumente/Aktuelles_News/Pressemitteilungen/2024/2024-04-12-Kundgebung.pdf

Nübling, R. (2014). Psychotherapeutische Versorgungsforschung – Status Quo und Perspektiven. Abgerufen am 27.11.2024, von https://www.researchgate.net/profile/Ruediger-Nuebling/publication/271201972_Psychotherapeutische_Versorgungsforschung_-_Status_Quo_und_Perspektiven/links/54c242640cf2911c7a46ebf6/Psychotherapeutische-Versorgungsforschung-Status-Quo-und-Perspektiven.pdf