Psychologie des Vergessens: Warum wir bestimmte Erinnerungen verlieren und wie wir entscheiden, was bleibt
Stellen Sie sich vor, Sie versuchen sich vergeblich an ein vergangenes Ereignis oder eine bestimmte Situation zu erinnern, doch einige Informationen und Bausteine fehlen einfach. Wie kann es sein, dass manche Dinge in Vergessenheit geraten, während andere ewig im Gedächtnis bleiben? Erinnerungslücken und das allgemeine Vergessen sind überwiegend gewöhnliche, aber dennoch bedeutsame Erscheinungen, die uns tiefere Eindrücke in unsere Psyche und Gedächtnis gewähren. Interessant wäre es also, die Einflussfaktoren auf das Erinnern zu beleuchten, die darüber entscheiden, welche Informationen gespeichert werden und welche nicht.
Warum vergessen wir überhaupt?
Grundsätzlich ist es normal, dass einige Informationen schneller vergessen werden als andere. Doch welcher Mechanismus steckt dahinter? Dazu gibt es sowohl Theorien aus der allgemeinen Psychologie als auch neurobiologische Ansätze. Einerseits geht man davon aus, dass Erinnerungen mit der Zeit erlöschen, wenn sie nicht regelmäßig abgerufen und aktiv „genutzt“ werden. Andererseits kann es sein, dass der nötige Kontext für das Abrufen einer vergangenen Information fehlt: Erinnerungen sind nämlich häufig kontextabhängig und mit bestimmten Assoziationen verknüpft. Wenn die entsprechenden Umweltreize und Sinneseindrücke wie Gerüche, Geräusche oder Ähnliches fehlen, kann es zu Schwierigkeiten des Gedächtnisabrufes kommen. Auch die selektive Aufmerksamkeit spielt eine zentrale Rolle. Informationen und Situationen, denen wir besonders viel Aufmerksamkeit schenken, können besser im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden als Ereignisse, in denen wir besonders abgelenkt sind. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Gedächtniskonsolidierung, die für die Festigung und langfristige Speicherung von Gedächtnisinhalten zuständig ist. Dieser Prozess findet häufig während des Schlafes statt und wenn dieser gestört ist, kann es vorkommen, dass Erinnerungen verloren gehen.
Betrachtet man die neurobiologische Perspektive, spielt der Hippocampus in Hinblick auf die Bildung und den Abruf von Erinnerungen eine wichtige Rolle. Dieser Teil des Gehirns ist unteranderem auch an der Konsolidierung beteiligt und trägt dazu bei, dass Informationen gefestigt werden und vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis übergehen. Zudem speichert der Hippocampus dauerhaft besonders gezielt Erinnerungen, die mit einer hohen emotionalen Intensität verbunden sind, da diese intensiver verarbeitet werden.
Emotionaler Zustand und traumatische Erlebnisse
Wenn Erinnerungen mit starken Emotionen verbunden sind, ob negativ oder positiv, können sie besonders gut erinnert werden, da sie als bedeutsamer wahrgenommen und somit häufiger wiedererlebt werden. Bestimmte Reize aus der Umwelt, die in der erinnerten Situation wahrgenommen werden, wie ein gewisser Geruch oder ein Gegenstand, der für das Ereignis relevant war und damit assoziiert wurde, können Erinnerungen wieder aktivieren. Besonders bei traumatischen Erlebnissen kann eine solche Verknüpfung zu einem Wiedererleben des Ereignisses und aufkommenden Bildern führen. Ein bestimmtes T-Shirt, das bei dem Autounfall getragen wurde oder ein Lied, was in der Situation lief, können tief verankerte Erinnerungen wieder hochholen. Werden jedoch stark negative und traumatische Erfahrungen erlebt, versuchen die meisten Menschen, diese aktiv zu unterdrücken und aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Laut früheren Studien teilweise mit Erfolg: Werden Erinnerungen bewusst unterdrückt, lassen sich assoziierte Szenen im Nachhinein schlechter abrufen und die Bilder treten weniger lebhaft in Erscheinung. Das Vergessen hat demnach auch einen Nutzen und ist nicht zwangsläufig schlecht. Es dient als hilfreicher Schutzmechanismus, der die Erinnerung an schlimme und traumatische Erfahrungen nicht immer wieder erneut unkontrolliert aufkommen lässt. Es ist also wohl tatsächlich möglich, Einfluss auf unseren Gedächtnisprozess durch aktives Verdrängen zu nehmen und bestimmte Erinnerungen abzuschwächen. Inwieweit das gezielte Unterdrücken aber nun gesund für unsere Psyche ist, sollte noch geklärt werden.
Zudem kann das Nicht-Erinnern aber auch eine konstruktive und pragmatische Wirkungsweise haben. So rücken irrelevante Informationen in den Hintergrund und wir können uns auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn „alte“ Erinnerungen vergessen werden, kann wieder Platz für neue geschaffen und unsere Vorstellungen von der Welt können ständig aktualisiert werden. Somit wird durch das Vergessen sowohl quantitativ als auch qualitativ neuer Raum geschafft, Neues zu lernen und Dinge neu zu bewerten.
Wie können wichtige Informationen besser erinnert werden?
1. Gesunder Lebensstil: Sowohl ausreichender Schlaf als auch eine regelmäßige körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung unterstützen die Gehirn- und Gedächtnisfunktionen.
2. Wiederholung: Wenn gezielt Informationen beispielsweise durch Lesen, Schreiben oder Kommunikation kontinuierlich wiederholt werden, ist eine langfristige Speicherung wahrscheinlicher. Zudem ist es hilfreich, wenn nicht alle Informationen gleichzeitig gelernt werden, sondern über einen Zeitraum hinweg verteilt wiederholt werden.
3. Emotionale Relevanz stärken: Wenn eine Verknüpfung mit emotional wichtigen Erlebnissen entsteht, können Erinnerungen tiefer im Gedächtnis verankert werden. Sollen beispielsweise historische Fakten gelernt werden, können diese besser erinnert werden, wenn sie mit persönlichen Geschichten, Filmen oder Zeitzeugen verbunden werden, die eine emotionale Reaktion hervorrufen.
4. Assoziationen herstellen: Wenn neue Informationen mit schon bekannten Konzepten verknüpft werden, gelingt der Gedächtnisabruf besser. Hier können zum Beispiel auch visuelle, sensorische oder auditive Reize hilfreich sein, um alte Erinnerungen abzurufen. Wenn Ihnen eine Prüfung bevorsteht, empfiehlt es sich beim Lernen z.B. Kaugummi zu kauen und dies in der Prüfung erneut zu tun, da sich unser Gehirn diese äußeren Verknüpfungen merkt. Außerdem könnte es hilfreich sein, Eselsbrücken zu verwenden, um sich wissenschaftliche Konzepte einzuprägen, indem man sie mit alltäglichen, bekannten Gegenständen/Prozessen verbindet (z.B. das Prinzip der Diffusion anhand eines Teebeutels im heißen Wasser).
5. Gedächtnis-Apps: Heutzutage gibt es viele Apps, die für das Gedächtnistraining entwickelt wurden wie Gehirnjogging, die dazu beitragen können, dass die Gedächtnisleistung gesteigert und das Vergessen reduziert wird. Apps wie Lumosity oder CogniFit bieten viele Übungen, die darauf abzielen, kognitive Fähigkeiten und die Aufmerksamkeit zu trainieren.
Fazit
Das Phänomen des Vergessens ist nicht immer negativ zu sehen, sondern hat auch einen funktionalen und lebensnotwendigen Anteil. So können wir ständig Neues lernen, uns anpassen und Informationen effizient verarbeiten. Außerdem dient das Vergessen als Schutzmechanismus, der traumatische Erfahrungen nicht mehr so präsent erscheinen lässt. Indem wir den Mechanismus des Vergessens und dessen Einflussfaktoren besser verstehen, können wir Strategien entwickeln, um unsere Gedächtnisleistung zu stärken und teilweise sogar bewusst zu steuern, was wir uns merken wollen.